Ich ♥ Julia Engelmann weil ich das Internet ♥

Campus TV 2013Jetzt, wo der Hype weiter durch das Internet zieht und die Mainstreampresse das Clickbait-Phänomen der letzten Woche in gewohnter Schwarz-Weiß-Manier durch den Kakao zieht, indem nun nach einer der Welle der Liebe für Julia Engelmann eine Welle des Hasses gewittert wird, muss ich mich doch nochmal kurz zu Wort melden, denn ich möchte auf keinen Fall das unser kleines Engelmann-Remix-Werk das ich geschrieben habe als Tune der Gehässigkeit gehört oder gelesen wird.

Vorab: Julia Engelmanns Erfolg ist ein toller Erfolg für die Poetry Slam-Szene, und ein toller Erfolg für meine Stadt Bielefeld (ja, Haters, I ♥ Bielefeld too!). Das kann man sagen, ohne neidgeschwängert vorne rüber zu kippen. Einfach mal gönnen, und nicht immer nur verbittert „ABER ICH MACHE DOCH SCHON SEIT JAHREN XYZ UND KEINE_R GUCKT HIN!!!“ sagen. Weil, nicht zuletzt die Kolleg_innen aus der Poetry Szene am besten zeigen, wie man es am besten macht: Sich mal für die eigene Gang freuen. Einfach so, weil man es kann.

Julias kleiner Clip ist eine superb performte Geschichte, in der viele Sachen, die die gemeinen Internet-Daddler_innen schon so oft gedacht haben (täglich!), einfach nochmal in eine schicke Performance gepackt wurden. Die Julia hat ihren Text geschrieben, ihn ganz vortrefflich vorgetragen, und mein lieber Herr Gesangsverein, wenn sie gewusst hätte dass die Menschheit ihn im deutschen Netz Monate später abfeiert wie ein neues Ghandi’Sches Manifest, dann hätte sie vielleicht noch die ein oder andere Message mit dazu gepackt – aber, hey, dann wäre es mit Sicherheit kein Hit geworden, und so funktioniert Viralität nun mal nicht.

Ich bin auch so eine Internet-Daddlerin. Und irgendwas packte mich halt auch, als ich die tausendfachen Verlinkungen des „One Day/Reckoning“-Videos sah. So sehr, dass ich an einem Samstagmorgen in Jogginghose einen kleinen Text zusammenklaubte, den Charlott einlas, und den wir dann abends im Samstagabendbeat der Mädchenmannschaft hochluden, und Nadine schrieb am nächsten Tag auch nochmal ein paar weise Worte. Sozusagen als Ergänzungen der großen Schwestern im Netz, die irgendwie ein bisschen verstehen, was eine 21jährige bewegt, aber irgendwie auch nicht (mehr). Es kann also nur nochmal betont werden: Julia, we hear you, we hear you, we hear you.

Und nicht alles, was millionenfach im Internet konsumiert wird, muss schließlich die Formel A+B=Weltfrieden&JusticeForAll beinhalten, wo kämen wir denn dahin!

Das wirklich faszinierende an diesem ganzen Clou, den ich übrigens weder für geplant noch kalkuliert noch sonst irgendwie geschmiert halte (sonst wäre das Internet ja schon letzten Sommer explodiert), ist doch der, dass sich die Ironie formvollendet in dem Sachverhalt outet, dass Millionen Menschen gebannt und wie hypnotisiert auf ihre Computerbildschirme starren, während Julia – im Subtext – sagt: „Hey, Leute. Einfach mal den Computer ausschalten. Und das Smartphone!“ So, wie Peter Lustig damals immer Löwenzahn abmoderiert hat: „Abschalten!“ Und das ist ja das irgendwie süß-verwirrende, dieses faszinierende an dem ganzen Hyper-Hyper um das Engelmann-Slam-Werk. Ein Appell für mehr „Echtleben“ wird zum nächsten großen Internet-Meme, mit allen Persiflagen und Witzchen und Liebes- und Nichtliebes-Bekundungen.

Und ich schätze, dass Julia bestimmt mit die erste sein wird, die sich über die ganzen Memes („Goethe & Rilke & Schiller & Engelmann“) und Neu-Umdichtungen ihres Textes („Mut ist nur ein Anagramm von Mtu“, Nils Bokelberg et al.) kaputtlacht. Und ansonsten haben wir mit diesem Millionenerfolg jetzt halt auch all die Internetmechanismen an der Hacke, die es halt so gibt: Hater. Trolle. Liebesprediger_innen. Hitzige Facebook-Diskussionen. Und die Running Gags, die schon ausgepackt wurden und noch ausgepackt werden: SWAG und YOLO und Chabos wissen wer die Engelmann ist. Leute, die Blogposts schreiben, weil Julia ihnen eine Muse ist. Und Videos machen. Und Audios einlesen. Und das alles im großen Prokrastinationsuniversum „Internet“.

Sascha Lobo hat letztens geschrieben, dass das Internet kaputt ist. Julia Engelmann aber zeigt: Zumindest diese Riesennetzgemeinde ist nicht kaputt, sondern sie funktioniert noch immer wie am Schnürchen. Katzenvideos, Einhorn-Gifs, Grumpy Cats, HerrTutorial, und für ein paar Wintertage und vielleicht auch länger: Julia Engelmann. Es war ein ganz zauberhaftes Wochenende, denn ich hatte mit vielen Leuten Spaß. Und das verdanke ich Julia Engelmann. Und dem Internet. Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby, werden wir alt sein, und wenn es gut läuft wir werden keine Minute bereuen die wir im Netz verdaddelt haben.

(Und was jetzt die große Verwirrung angeht, ob das Engelmann-Video jetzt tatsächlich UNSER LEBEN VERÄNDERT oder nicht: Herr Urbach antwortet in diesem Video u.a. bei Minute 0:24.)

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4 Gedanken zu „Ich ♥ Julia Engelmann weil ich das Internet ♥

  1. perlenmama sagt:

    DANKE. Dem habe ich nichts hinzuzufügen! Wundervoll ausgedrückt und zurecht gerückt!

  2. Azadê sagt:

    Wunderbarer Text. Danke. [Und sorry…Ich gehöre ja auch zu den Nullchecker_innen des 1. Textes zu diesem Thema.]

  3. […] Haeusler gefällt mir so gut wie lange nicht mehr). Nadia hat auch noch einen sehr guten Text nachgeschoben. Damit ist das Thema hoffentlich erledigt. Wieso zur Abwechslung nicht mal in den nächsten Tagen […]

  4. LieberPirat sagt:

    irgendwie bist Du mal wieder wie üblich echt die voll Fitte 🙂

    wäre genial was zusammen zu gestalten.

    munteren Mit-mensch-woch mit Macht für Mädels

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