Archiv der Kategorie: Just sayin`

„Hallo Nadia, Joerg möchte das Flüchtlingsproblem lösen!“

Es ist ein Sommer der Held_innen, dieser Sommer 2015, vor allem der deutschen Held_innen, und es brauchte nicht mal eine Fußballmannschaft dafür. Til Schweiger und Anja Reschke mutierten zu Sprachrohren des Antirassismus, ein Busfahrer rührte mit einer „important message for all people from the whole world“ ganz Deutschland (auch mich), und sogar bislang unpolitische oder bisher eigentlich nur an Pegida interessierte Menschen drehten sich auf einmal um 180 Grad und sammelten wie die Berzerker Spenden für geflüchtete Menschen, und alle finden das total spitze und knorke.

Vor ungefähr anderthalb Wochen ging das doitsche Sommermärchen los, eine wundersame Fabel aus Zusammenhalt, Harmonie, abendländischem Fleiß der sich in ehrenamtlichem Engagegment entfaltete und Großzügigkeit jenseits jeglicher Askese. Selfies vor Spendenmassen wurden geschossen und in Netzwerken hochgeladen, denn tue Gutes und spreche darüber! Vom Sieg der Zivilgesellschaft über das Böse und von Gänsehautmomenten war die Rede, und in einem Deutschland, in dem viele Menschen eigentlich bisher zum Beispiel den Islam irgendwie ganz kacka fanden, wurden auf einmal phantastische Erdkunde- und transkulturelle Kenntnisse in Facebook-Orga-Gruppen ausgegraben: Essen bitte nur spenden, wenn es halal ist, und irgendwas mit Bulgur und Hummus passt immer. Sowas wie Band Aid, nur in Deutschland, nur ohne schlechte Musik. Alle gehen steil, und uallah, es wäre alles so schön gewesen, wenn, ja, wenn ich nicht wieder Party-poopen müsste.

… Cut to: Donnerstag, 13. August 2015. Am Bahnhof unserer Stadt sind Richtung Stadtbahn die Bürgersteige besprüht: „Hooligans gegen Rassismus“ prangt da in kleinen Graffitis auf der Straße. Aber naja, Hogesa ist out, Pegida ist öde und für Loser, da muss nun was Neues her. Ein bisschen muss ich lachen. Ja ja, ein Schelm wer dabei Böses denkt!

… Cut to: Freitag, 14. August 2015. Irgendwas an der Hilfe-für-Geflüchtete-Welle erinnert mich an die Straßenfest- und Lichterketten-Mentalität der 1990er Jahre. In den sozialen Netzwerken werden in fast jeder Stadt Übersetzer_innen gesucht, Spenden angefragt, ganze Organisationstrupps formieren sich. Der übliche Stellvertretersprech beherrscht die Kommunikation und (vor allem deutsche) Held_innen werden gefeiert für Aussagen, für die vor ein oder zwei Jahren oder auch heute noch antirassistische PoC-Vereine als bösartig und/oder deppert verurteilt oder erst gar nicht beachtet wurden. Strukturen der Sozialarbeit zum Nulltarif entstehen in einem beeindruckenden Ausmaß, Vereinsmeierei mit Listen und Koordination und Hierarchien und Regelwerken folgen auf dem Fuß. Leute, die in den letzten Jahren weder für eine bessere Sozialpolitik noch gegen institutionellen Rassismus auf die Straße gegangen wären oder gar über die Problematik der De-Thematisierung und Ethnisierung von Armut nachgedacht hätten, kochen auf einmal literweise Suppe und spenden Daunenjacken für den Winter. „Yes! We! Can!“ schreit es aus allen Poren des Volkskörpers. Gott, wie gut alle doch sind. WIE GUT! UND ANSTÄNDIG! Weiterlesen

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Warum ich trotz #HoGeSa heute trotzdem Zug fahren würde

Als letzte Woche bekannt wurde, dass das Verbot der heutigen Nazi-Demonstration in Hannover keinen Bestand hat, und daraufhin an vielen Stellen Zugwarnungen (insbesondere für PoC und muslimischstämmige Personen) ausgesprochen wurden dachte ich auch zunächst: Keine Zugfahrt am Samstag für mich.

So schön ist es in Zügen der DB nicht immer.

So schön ist es in Zügen der DB nicht immer.

Nun stand ich gestern aber in einem voll gestopften RE Richtung Minden – derselbe, der für heute als (einer von einigen Zügen) unfahrbar gilt, als No-Go-Area, als gefährliche Zone. Hinter mir ein Glatzkopf mit eindeutigem Pulli, Tattoo, Bierflasche in der Hand. Ich nahm ihn erst gar nicht wahr bis ich merkte, dass hinter mir einer hasserfüllt in sein Handy rotzte („Die asozialste Zugfahrt die ich je erlebt habe, nur Gesocks im Zug!!!“), zwischendurch beherzt rülpste und aggressiv den Schnodder in der Nase hochzog und zwei Dudes (Kanaken-Bros) mir verzweifelt-sarkastisch zuzwinkerten. Den Kopf einmal halb zur Seite gedreht offenbarte sich mir die ganze Pracht des Elends, und ich muss zugeben, fast noch mehr als der Nazi-Sponk im Rücken widerte mich die Vorstellung an dass jemand mir auf die Haare rülpst, und ich stellte mich so gut es eben in dem beengten Zug ging in den nächsten Gang. Weiterlesen

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Interview: Legofizierte Lieblingsalben

Oasis (c) Christoph!

Liebe zum Detail, und die Gallagher-Brüder sehen hier so frisch aus wie nie! (Oasis, (c) Christoph!)

Im Mai habe ich bei einem Konzert mit CHVRCHES und Co. das erste Mal Christoph von Konzerttagebuch getroffen. Abgesehen davon, dass Christoph mit einen der schönsten Konzertblogs Deutschlands hochzieht (hier darf jede_r Fan werden, falls noch nicht geschehen: Zack!), hat er zudem noch ein ganz faszinierendes Hobby: Er baut Plattencover aus Lego nach. Weiterlesen

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This is how I (try to) work

SAMSUNGIsabella Donnerhall will`s wissen: Wie arbeiten Blogger_innen denn eigentlich? Und den Fragebogen mit Quasi-Invitation zum Ausfüllen hat sie damit auch schon bereit gestellt. Und heute schon mal den Zwischenstand mitgeteilt.

Anlass für mich, dem eigenen Chaos knallhart ins Auge zu sehen. Es folgt also: Confessions of a procrastinating Bloggerinnen-mind. Zack: Weiterlesen

Buschkowsky II: In eigener Sache

In der letzten Woche habe ich viele Rückmeldungen zum Buschkowsky-Text bekommen. Ich blogge seit fast zweieinhalb Jahren und bin es gewohnt, unterschiedliches Feedback zu Texten  zu bekommen. Man handelt sie nach eigenem Ermessen ab, und dann macht mit seinem Tagesgeschäft ganz normal weiter. Aber heute mache ich mal eine Ausnahme. Weiterlesen

Interview mit Yassir: Drei Jahre Marokko, bisher kein Zurück

Der Anlass ist immer wieder aktuell: Es folgt ein Interview mit dem Frankfurter Hip-Hop-Artist Yassir Ezarzar, der vor drei Jahren nach Marokko ausgewiesen wurde. Das Gespräch mit Yassir führte ich bereits 2010, aber auch heute noch beinhalten seine Aussagen absolute Aktualität, ebenso wie der Fall: Eine Rückkehr des Familienvaters nach Deutschland ist bis heute ungewiss.

Wenn Du Dich an Deine Jugend und Kindheit erinnerst – wann hast Du gemerkt, dass Du anders, dass Du „fremd“ bist?

Yassir: Das fing früh an, schon in der Schule. Da begann die Zeit, in der man sich behaupten und anpassen musste. Heute sehe ich es eher als Nachteil, sich zu wünschen, beliebt und anerkannt zu sein. Den Strebern ging es ja nicht anders: Sie litten auch in ihrer Jugend. Aber sie gehören heute zumindest meist zu einer besseren Schicht – und lassen manchmal ihren Frust leider an denen ab, denen es nicht so gut geht. Dass ich „fremd“ war, war aber nicht das Hauptproblem: Bei mir war es offensichtlich, dass meine Familie sehr arm war, und die Gesellschaft hat es einen natürlich spüren lassen. Ich habe zum Beispiel immer die abgetragenen Kleider meines Bruders tragen müssen. Und mein erstes Fahrrad habe ich geklaut, weil wir uns nicht leisten konnten, eines zu kaufen. Man hat immer zu spüren bekommen, dass man als Ausländer nicht wirklich gesellschaftsfähig ist. Einige hat das dann fast automatisch umgepolt, wobei das auch viel mit Ausländerstolz und Vorstellungen vom „Mann sein“ zu tun hatte. So war es zumindest bei mir. Ich wollte dann irgendwann dafür sorgen, dass mein Umfeld sich mit mir identifiziert, nach dem Motto: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“ Heute weiß ich, dass das absolut dumm war. Aber damals hat mir das sehr viel gegeben – weil ich mich zum ersten Mal anerkannt fühlte.

Das heißt, bei Differenzierungen zählt in Deutschland noch mehr als die Frage der Herkunft die Frage der Schicht?

Yassir: Natürlich. Kleider machen Leute. Wenn Du als Ausländer mehr Geld hast, dann wirst Du in Geschäften besser behandelt als ein Deutscher ohne Geld. Und ein deutscher Sozialfall wird meistens auch nicht besser behandelt als ein türkischer. Es geht immer um Kapital und soziale Schichten. Aber trotzdem ist es natürlich so, dass auch Religion zur Spaltung der Menschen beitragen kann – das sollte man nicht vergessen. Weiterlesen

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