Archiv für den Monat März 2022

Eine Klasse für sich: Eine Ode an die talentierte Mrs. Delvey

Ⓒ Netflix

Seit im Februar die Netflix-Serie „Inventing Anna“ anlief, ist Anna „Delvey“ Sorokin wieder in aller Munde. Ich hoffe, dass alle meine Leser_innen Anna Delvey kennen. Falls nicht: Bitte ent-abonniert mich. Nein, Quatsch. Ich erzähle es nochmal auf die Schnelle: Anna, die 31 Jahre alt ist und bis zu ihrem Abitur im deutschen Eschweiler bei Köln lebte, hatte von 2013 bis 2017 die New Yorker High Society mit der Legende, sie sei eine schwerreiche Erbin aus Deutschland, an der Nase herumführen können. Mit dieser Masche hat sie insgesamt 275.000 Dollar erschwindelt. 2019 wurde sie wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die sie mittlerweile abgesessen hat. Nun sitzt sie wieder in den USA im Knast und steht kurz davor wegen Verstößen gegen Visa-Bestimmungen nach Deutschland abgeschoben zu werden. Lieber als nach Deutschland abgeschoben zu werden, harrte sie dort bisher aus. Hart, aber verständlich. Auch alles andere Deutsche scheint sie wie die Pest zu meiden: Auf ihren Social Media-Profilen inszeniert sie sich rein englischsprachig. Auch das wird einer von Delveys cleveren Schachzügen sein. Während sie in den USA und Co. nämlich mittlerweile medial wie eine Pop-Kultur-Ikone hofiert wird (Stars wie Paris Hilton feiern sie, auf Instagram hat sie mittlerweile fast eine Million Follower_innen), wird in Deutschland zwar mittlerweile quantitativ viel über sie berichtet, aber komplett verkannt, welch popkulturelles Weltereignis die (Kunst-)Figur Anna Delvey eigentlich ist. Ich habe mit der Schriftstellerin Jacinta Nandi über Anna gesprochen: Warum ihr „genialer Betrug“ wahrscheinlich eher nur auf jugendlichem Leichtsinn und dem Wunsch, in einer glitzernden Weltstadt mitzumischen, fußte. Warum in uns allen ein bisschen Anna Delvey drinsteckt (vor allem, wenn wir pleite sind). Und warum es clever und auch richtig cool ist, dass sie Deutschland bisher so strikt vermieden hat.

Nadia: Ich habe keine Ahnung, warum mich die Story bis heute so fesselt, aber ich war in all meinen Jahren im Internet kaum so invested in eine Geschichte wie in die von Anna „Delvey“ Sorokin. Als 2018 der erste Artikel über sie mitten in der Nacht in meine Facebook-Timeline gespült wurde – es muss der Artikel aus „The Cut“ gewesen sein – war ich eigentlich todmüde. Aber schon als ich die Headline gelesen habe wusste ich: Das ist was für mich. Und dann habe ich mir den Text reingeklingelt und war danach gefühlt die halbe Nacht wach. „WAS FÜR EINE GEILE GESCHICHTE“, habe ich gedacht. Und vielen meiner Freund_innen ging es genau so. Als Annas Geschichte publik wurde war das ein richtiger „A Star is born“-Moment. Obwohl ja eigentlich nicht viel passiert ist, außer dass sie sich als reiche Erbin ausgegeben hat und Geld im sechsstelligen Bereich erschwindelt hat. Ich meine, wirklich reiche kids, die tatsächlich bei ihren Eltern und Co. auf der Erbenliste stehen: Sind die so anders? Die bescheißen doch auch?

Jacinta: Ich mag Anna Delvey. Sehr sogar. Aber ich finde trotzdem, dass das Ganze eigentlich eine non-story ist. Es wird jetzt so verkauft, als ob man als Erbin im Verhältnis zu Kindern von Normalos genetisch anders wäre? Also, vielleicht respektiere ich Superreiche einfach nicht genug. Und ich glaube Anna sofort, wenn sie sagt, dass das, was sie gemacht hat, eigentlich sehr leicht war. Alle fragen sich: Wie hat sie das hingekriegt? Und alle sind so sicher, dass sie eine Soziopathin ist. Ich bin mir da ehrlich gesagt nicht so sicher. Ich meine, hat sie wirklich etwas komplett Bösartiges gemacht? Eigentlich nicht?

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