Grenzen hochziehen, in Waffensysteme investieren, sich abschotten und ins tradierte (Heten-)Familienleben zurückziehen: Hört sich an wie der ganz normale Backlash in Industrieländern des globalen Nordens? Genau! Ist aber auch der Plot vieler erfolgreicher Horrofilme und (Doku-)Serien der letzten Jahre, und das kommt nicht von ungefähr: Das Szenario der Kleinfamilie, die sich gegen Zombies, Hexen, die Apokalpyse oder unbekannte böse Mächte verteidigt, funktioniert ganz prima als konservative Metapher, die das Bedürfnis nach der Rückbesinnung auf Traditionen erfüllt.
Linda Blair als Halloween-Ladenhüter. Heute ist halt Blut-und-Boden-Symbolik en vogue!
Letztens sah ich den Horrofilm „A Quiet Place“, und da war sie wieder: die von den Filmemacher_innen präsentierte Idylle eiber süße und natürlichen weißen Kleinfamilie. Die Mutter schwanger, der Vater ein unangenehm hemdsärmeliger Typ, der Erziehungsstil von beider helikopterig. Die Kinder waren im Film dementsprechend zwar irgendwie mit eigenem Kopf, aber auch unter dem Eindruck des vorauseilenden Gehorsams unterwegs – Mitläufer_innen gewissermaßen. Ansonsten die typischen „Home is where your Inszenierung von Häuslichkeit is“-Impressionen: Wäsche, die im Garten aufgehängt und Gemüse, das in Gläser eingeweckt wird. Dazwischen viele Bilder von Wiesen und Grashalmen. Weiterlesen →
Als überzeugte Feministin stehe ich vor einem Problem, das ich in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr lösen werde: Ich liebe Musik, die mich nicht zurückliebt. 2018 stand ich abends mit einer Pizza und einer Cola in der Hand auf einem staubigen Acker in Belgien. Es war der Beginn eines der heißesten Sommer der letzten Jahrzehnte, und ich hatte eine strapaziöse Anreise zu einem überfüllten Festival (Graspop, wenn man es ganz genau nehmen möchte) hinter mir. Auf der Bühne spielten Guns N`Roses und ich dachte: „Das ist jetzt einer der schönsten Momente meines Lebens.“
Axl Rose war wie ich etwas in die Jahre gekommen und musste öfters eine Singpause einlegen, damit Slash mit langwierigen Solos ein paar Lückenfüller spielte, die ihm eine Verschnaufpause verschafften. Alle Songs waren genau so schrottig wie vor 25 Jahren, doch mein Hirn feiert sie natürlich, und zwar hart. „Warum“, hätte mich in einer idealen Welt fragen können, „stehe ich als ausgewiesene Feministin auf einem Macker-Festival und höre mir Musik an, die bereits in den 90ern problematisiert wurde, weil sie explizit frauenfeindlich ist?“
Doch diese Frage stellte ich mir natürlich nicht, und wenn, dann nur klammheimlich. „Ich bin eine von den Guten“, dachte ich dann, „halt nur mit einem inhaltlich fehlgeleiteten Musikgeschmack.“
Denn es ist so, wenn man wie ich vor allem auch Metal, Rock und Indie hört, ist man unvermeidlich mit Musik konfrontiert, die zumeist von Weißen für Weiße und von Mackern für Macker komponiert wird. Man könnte also sagen, ich feiere gleich in doppelter Hinsicht auf den falschen Partys.
Ich liebe „You Shook Me All Night Long“ von AC/DC und kann es komplett mitsingen. Ich gehe auf Rockfestivals und gucke mir zwischendurch verzweifelt-trotzig auch mal Bands an, die ich eigentlich nur so mittelgut finde, die aber immerhin keine reine Cis-Mann-Beteiligung aufweisen (z.B.: Lacuna Coil).
Eines der besten Konzerterlebnisse meines Lebens hatte ich bei Nick Cave, der vor über zwei Jahrzehnten mit Kylie Minogue „Where The Wild Roses grwo“ eingesungen hat – einen Track, den man natürlich „Mörderballade“ nennen kann (so wie es die Musikrezeption tut), oder eben auch eine schaurige toxic masculinity-Fantasie.
Ich habe viele Jahre lang Künstler verehrt, die sich zwar als softe woke-Typen gaben, bei denen aber nie ganz klar war, ob Frauen am Ende für sie doch bloß Objekte oder zuminest als Muße taugten – und natürlich entpuppten sich einige von denen als echte Arschlöcher, so wie zum Beispiel Ryan Adams, der die Frauen in seinen Umfeld schlecht behandelte und sich an Minderjährige ranmachte (seine Musik habe ich seitdem nie wieder angerührt, und sie fehlt mir auch nicht).
Ja, ich habe ganz oft einen inneren Konflikt, wenn es um Musik geht, die ich liebe. Popularmusik reproduziert die Verhältnisse und daher auch große Kackscheiße – auch dann, wenn es sich das Prädikat „rebellisch“ aufpappt.
Doch eines hat sich im Laufe der Jahre verändert: Der Zwiespalt ist größer geworden. Zehn Jahre Feminismus haben bei mir Spuren hinterlassen, jedes Jahr Netzaktivismus hat meine Awareness beeinflusst – was dazu führt, dass sich auch mein Konsum von Popkultur verändert hat: Serien, Filme, Bücher, Kunst – problematische Inhalte lassen sich nicht mehr wegignorieren oder wegentschuldigen. Und dennoch – die meiste Musik, die ich liebe, liebe ich irgendwie immer noch. Aber natürlich nicht mehr aus „guten gründen“, sondern: trotzdem.