Intersektionalität: Dünnes Eis

Flickr (c) Brian Pocius

Flickr (c) Brian Pocius

Das wird eine lange Geschichte. Und ich steige ein ohne groß einzuleiten: Ich habe die ganzen Debatten um „Klassismus“ der letzten Woche – gerade am Anfang der großen Diskussion – wie eine große Massenkarambolage empfunden. Und vorweg: Ich werde jetzt für meine ganzen unbedarften Leser_innen, die sich nicht den ganzen Tag auf Blogs herumtreiben, keine detaillierte Zusammenfassung liefern können, deswegen bleibt es mal wieder: Eine Blubber in der Bubble. Aber Taschenrechner im Kopf hat dankenswerterweise nochmal alle Links zusammengestellt, einmal hier klicken, und zack, alles da, nur, falls es jemanden von einem anderen Planeten interessiert.

Dieser Blogpost ist also wohl (leider) mal wieder ein Zeugnis des Geheimsprech der eingeweihten digitalen Kreise, die sich gegenseitig kennen und lesen und verlinken oder nicht verlinken und Blog-Codes inkorporiert haben, über die andere aus vielen verschiedenen Gründen nicht verfügen. Ich habe diesen Sachverhalt in einem Text letztes Jahr, in dem ich mich scharf für sauberes Argumentieren in feministischen Zusammenhängen aussprach, im üblichen Kauderwelsch und in vielen Nebensätzen letztes Jahr einmal kurz verwurstet, und heute kann ich sagen: Die Botschaft ist damals wahrscheinlich nicht angekommen.

Trotzdem. Leuten, die sich in den (Mainstream-)Medien als Pächter_innen der Weisheit verkaufen, egal in welchen Zusammenhängen, kann man abverlangen, dass sie sich ordentlich informieren, und auch wenn man mal weiß dass eh Hopfen und Malz verloren ist, kann man sie wenigstens ankacken. Das werde ich immer einfordern, und wenn es sein muss, rege ich mich auch ordentlich auf, egal über wen. Biographische Texte jedoch sind keine „Fachpublikationen“. Im Gegenteil sind sie gerade im Netz manchmal die einzige Möglichkeit, genauer an den Erfahrungswelten von vielen Verfasser_innen dieser Texte teilzuhaben. Vielleicht auch: Zeitzeugnisse. Und das ist eine gute Sache. Das würde ich weder als larmoyant, noch als Ich-zentriert abcanceln, und auch ich habe schon solche Texte geschrieben. Natürlich.

Manche Leute verstanden meinen Text damals als Absage an Leser_innen, die nicht über bestimmtes institutionalisiertes (akademisches) und inkorporiertes Wissen verfügen, und schwupps, hatte ich diesen Stempel der „Elitesprech-Tante“. Klassistin. Ich bin ziemlich stumpf, was solche Vorwürfe – oder sagen wir lieber: Missverständnisse – betrifft, manche Schuhe lasse ich mir nicht anziehen, und die Leute, die sich damals über besagten Text geärgert haben, lesen und verstehen i.d.R. zumeist alle Texte die ich schreibe. Zumindest im Großen und Ganzen. Sie bewegen sich ja auch in derselben, oder wenigestens denselben Bubbles wie ich. Es gibt auch keinen großartig stänkerischen Beef, mal ist man einer Meinung, mal nicht, und im Großen und Ganzen mag man sich wahrscheinlich auch. Ich nahm und nehme also diese Sache nicht persönlich, und damals versuchte ich an einigen Stellen meinen Standpunkt zu erklären, es klappte nur halbgut, und irgendwann gab ich – auch aufgrund begrenzter Ressourcen – einfach auf, das weiter auszudiskutieren.

Ich schreibe viel über Rassismus. Vielleicht sollte ich diese Texte nicht mehr auf Deutsch, zumindest auf Englisch*, schreiben, damit alle die, die von Rassismus betroffen sind, diese Texte auch verstehen können. You see?

Ich habe Leser_innen, die nicht wissen was „Derailing“ ist. Oder eine „Triggerwarnung“. Ich habe Leser_innen „of Color“, die „of Color“ noch nie gehört haben, geschweige denn diesen Terminus als Selbstbezeichnung nutzen würden. Ich habe Leser_innen, die sich nicht vorstellen können worum es geht, wenn in der digitalen Blase über „sichtbar“ und „unsichtbar“ machen gestritten wird.

Ich habe Freunde in der analogen Welt, die sich teilweise über das ganze Zeug das ich ins Internet schreibe, amüsieren, und die mir das auch dankenswerterweise zurückmelden: „Alter, Shehadeh, was machst Du denn da für Quatsch den ganzen Tag im Netz harharhar!“ Letztens schrieb mir ein Freund: „Manchmal weiß ich gar nicht, ob Du dieses ganze Zeug, dass Du da immer schreibst, auch wirklich ernst meinst.“ Mit einem Zwinkern, ja, aber es gab schon Zeiten, in denen ich mich fragte, ob ich mich vielleicht von den Leuten, die mir im echten Leben wichtiger sind als die vielen Leute, die mir randomly im Netz begegnen, durch das automatische Problem des „immer spezifischer werdens“ des Bloggens entferne. Ich weiß, dass es vielen anderen Blogger_innen ähnlich geht. Ich hoffe es zumindest, weil dann könnten wir irgendwann mal darüber sprechen, wie man damit umgehen kann.

Und manchmal ist es mir fast peinlich, diese mit den Codierungen der öffentlichen Blog-Geheimbünde vollgeranzten Texte zu tippen, und damit automatisch andere – auch die, die mir wichtig sind – von meinen Gedanken auszuschließen. Meine analoge Welt hat mit meiner digitalen Welt im Prinzip nur wenig zu tun, obwohl es langsam aufweicht. Ich schreibe diesen Text und frage mich wie so oft, wie ich hier nach drei Jahren Bloggerei landen konnte: In einem ganz speziellen Blog-Paradigma, das den Schreiber_innen, Leser_innen und Rezipient_innen so viel abverlangt, dass sich das mit der insgesamten Inklusion und Anschlussfähigkeit eigentlich schon komplett von selbst erledigt hat. In einer Situation, die mich zur Dienstleisterin diverser Aktivismen macht, die ich mir nicht bewusst ausgesucht habe – die sich jedoch aufgrund inhaltlicher Übereinstimmungen irgendwie ergeben hat.

Eine Situation, in der ich mich meistens jedoch wohl fühle. Meine Ideen, die meine Freunde nicht verstehen, verstehen i.d.R. immer einige Leser_innen. Und umgekehrt. Das ist ein Privileg, und zwar ein sehr fettes. Vor allem, wenn man wie ich mit einer Reichweite operieren kann, die meistens dafür sorgt, dass man eigentlich immer jemanden erreicht, der das, was man sagen will, nachvollziehen kann. Wenn man gute Freunde hat, die das, was man tut, akzeptieren, auch wenn sie es nicht immer verstehen können.

Ich bin mittlerweile mit einer großen Masse an digital aktiven Menschen vernetzt: Das Netzwerk ist so groß, dass es die Möglichkeiten eines normalen und ausgewogenen „Social Activity“-Managements fast übersteigt, schon jetzt. Ich kenne heute viele Leute und umgekehrt, und wenn ich aber eins gelernt habe in der letzten Zeit, dann: Die Qualität des gegenseitigen Verstehens korreliert auch mit der Häufigkeit von Kommunikation und persönlicher Begegnung. Freundschaft. Ich weiß, dass die Leute, die mich auch persönlich kennen oder sich viel mit mir austauschen, meine Texte anders lesen, als diejenigen, für die ich nur eine berufsjugendliche Buchstabenausspuckmaschine auf einem (oder mehreren) WordPress-Accounts bin.

Manchmal hat man die Zeit des Austausches nicht, und manchmal arten die Blogdebatten in eine Reiz-Reaktionsschema des Postens und Gegenpostens aus, noch bevor man ein Wort miteinander gewechselt hat. Trotzdem findet immer eine Kommunikation statt: Wen shared man, wenn faved man, wen verlinkt man, wo kommentiert man? Leute stellen Allianzen fest, Verbindungsbrücken, fühlen sich angesprochen oder ausgeschlossen. Der Raum für Verschwörungstheorien ist im Netz unendlich groß: Wer koaliert mit wem, in welchem Backend wird vielleicht böse abgelästert, wo findet Silent Treatment statt, wo ist die Achse des Guten, wo die des Bösen.

Das alles ist letzte Woche passiert, praktisch täglich, und ich erlaube mir auch versteckt hier einen kleinen Running Gag einzubauen, denn manchmal sind Dinge nur mit Humor erträglich. Wer ihn findet gewinnt eine Portion Pommes. Letzten Sonntag ging es also los mit der aufgehitzten Debatte, entzündet an einem Text, der in seiner Ursprungsvariante nicht mehr so gut lesbar, aber doch verfolgbar ist. Es ging nicht um Klassenkampf, sondern um Intersektionalität. Streitbar, hart, klar, doch mir ging es vielen anderen, die diesen Text lasen, in dem es auch um Sprache ging, und die spontan dachten: Ja.

Ich kenne die Verfasserin persönlich: Eine Woman of Color, fertig akademisch ausgebildet, und von Hause aus das, was man klassistisch benachteiligt nennt.  Es dauerte nicht lange, und die Diskussion entfachte sich. Gegenfeuer, auf das ich guckte, bei Twitter, bei Facebook, in anderen Blogs, und ich dachte nur: Oh weh. Viele der Blogger_innen, die sich echauffierten, waren (bzw. sind) weiß. Ich verstehe vielleicht, warum sie sich ärgerten: Sie fühlten sich vielleicht gedisst, angepisst, nicht verstanden, „unsichtbar“. Betonung auf vielleicht, denn wir stecken nicht in derselben Haut. Und dennoch, klar, es ist scheiße, wenn man sich nicht verstanden fühlt. Ich weiß aber tatsächlich nicht, wie sich jemand, der weiß ist, fühlt, wenn er aufgrund seiner Sprache benachteiligt oder diskriminiert wird.

Ich hatte den Text auf jeden Fall geshart, und viele der Leute, die ihn ebenfalls mochten, sind nicht weiß. Und es geht auf keinen Fall darum, hier irgendwelche Diskriminierungsformen gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr darum, zu verstehen, und auch nochmal zu betonen, dass jemand, der weiß ist, vielleicht einen ganz anderen Bezug dazu hat, wenn an seiner Sprache herumgedoktert wird, als jemand der (hart sichtbar) of Color ist. Wer andere Erfahrungen oder ein anderes Wissen darüber hat möge sich bitte melden, denn ich bin natürlich nicht beratungsresitent.

Ich las auch den Satz in dem Text, in dem es darum ging, dass nicht-weiße Unternehmer oft nicht dieselbe Würde erfahren wie weiße Unternehmer, und ich dachte zuallererst an die NSU-Mordserie, bevor ich überhaupt auf die Idee kam, dass mit einer solchen Aussage Ausbeuter_innen gestützt werden sollten. Natürlich. Aktualisiert: Stand ganz anders im Text, aber in der darauffolgenden Debatte spann sich diese Erkenntnis in meinem Kopf weiter.

Und die Passagen, in denen es um Sprache und Wissen ging, joa. What can I say. Ich habe mein ganzes Leben erlebt, wie Weiße an meiner Sprache rumgeprokelt haben: „Du sprichst aber gut deutsch.“ – „Das ist aber ein schöner Aufsatz den du geschrieben hast, das war bestimmt nicht einfach für dich.“ – „Dass du eine so gute Note in Deutsch hast, super, gerade Du!“ Einige Leser_innen haben in meinem Blog den ganz besonderen Fetisch entwickelt, meine Textfehler zu korrigieren. Manche, die mich (intellektuell) nicht verstehen, unterstellen mir, ich könne nicht so gut deutsch, oder ich sei halt einfach d*mm.

Ich bin 33 Jahre alt. Ich habe vor sechs Jahren mein Studium abgeschlossen, das für mich der reinste Kraftakt war. Ich weiß, wie es ist, cash poor zu sein, wenn man studiert, und ich weiß auch, wie es ist, cash zero zu sein wenn man studiert. Als ich im dritten Semester eine neue Wohnung suchte, hat mich eine Vermieterin am Telefon gefragt, wo ich herkäme – ich würde ja einen Akzent haben. Vorher hatte ich ihr dreimal meinen Namen buchstabieren müssen. Ich hatte nie einen Akzent, aber ich musste der Vermietertante natürlich trotzdem meilenweit in den Arsch kriechen, weil ich damals jede Wohnung genommen hätte, die in mein Nicht-Budget gepasst hätte. Ich würde trotzdem nicht sagen, dass ich damals von Klassismus betroffen war oder es heute bin: Ein Elternteil hatte einen akademischen Grad vorzuweisen (Milieu is the Key-Word, Baby), so dass ich schon ein bisschen den einen Stallgeruch hatte, der den anderen (nicht-weißen) übertünchte, und mit Abitur ausgestattet hatte ich Möglichkeiten, die viele andere meiner Freunde dank unseres früh-selektiven Schulsystems niemals haben sollten, und niemals haben werden.

Dass ich das Studium trotzdem irgendwie abgeschlossen habe hängt aber nicht mit Geld, sondern mit so vielen Sachverhalten und glücklichen Zufällen zusammen, die ich noch nicht mal zusammentragen kann. Trotzdem bin ich heute natürlich der optimale und angepasste Arbeitnehmer im kapitalistischen System, der seine Fresse hält und sein nicht der Rede wertes Salär zum Großteil darauf verwendet, seine Studiendarlehen zurückzuzahlen. Kapitalismus funzt super (harhar!), und er wird uns wohl in den Fängen haben bis zum Tod, denn nicht mal der ist ja bekannterweise umsonst.

Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, dass ich mich darüber eigentlich nicht beklage. Ich gucke halt hierhin zum Beispiel, wo Leute für ab 3,25€ pro Stunde arbeiten, und wir reden nicht über Semesterferienjobs, sondern über die einzige Möglichkeit von Erwerbstätigkeit ever für manche, und deswegen denke ich tue ich gut daran, meine Fresse zu halten. Ich hatte im Studium Kommiliton_innen, die wieder ins Heimatland abgeschoben wurden, wenn sie mal einen Schein nicht fristgerecht bei der Ausländerbehörde vorgelegt haben. Einen haben sie in Handschellen abgeführt.

Ich besitze keine Produktionsmittel, aber mein weich gepolsterter Bürgertumsarsch, den ich jetzt wohl mittlerweile doppelt und dreifach habe, sollte sich nicht über zu viel Unbequemlichkeiten aufregen, denn andere bluten im Kapitalismus noch mehr und am Ende auch für mich mit. Und vielleicht bin ich auch genau deshalb eine der vielen unintendierten Stützer_innen des Systems. Und ich bin keine Klassenkämpferin, denn den Job machen andere besser als ich, da bin ich keine Expertin, ich sage nur hier, da, was mir auffällt, just for the record.

Und heute. Heute sagen mir manchmal also auch weiße Menschen so ganz durch die Blume, einige davon eingespannt in Bildungsprozesse deutscher Hochschulen, die bis zu zehn Jahre jünger sind als ich, ich würde durch meine Sprache auf ihre klassistische Benachteiligung keine Rücksicht nehmen. Ich möchte euch sagen: Euer 2013 ist wahrscheinlich mein 2003, mein 2004, mein 2005, und so weiter. Been there, done that. Das, was zwischen uns liegt, ist ganz einfach ein zeitlicher Unterschied, es sind andere Lebensphasen. Die Opportunitätskosten, die ihr für das Studium in Kauf nehmt, werden sich irgendwann erledigt haben, auch wenn ihr noch lange dafür zahlen werden müsst, denn: I am still there, still doing it.

Und ich habe noch eine Überraschung für Euch: Für uns of Color, egal ob cash poor oder nicht, haben sich die Probleme™ nicht mit einem Bildungsabschluss erledigt. Und: Viele der Frauen of Color mit akademischen Abschluss, die ich kenne, sind die ersten weiblichen Absolventinnen einer Hochschule in ihrer Family. Da ist allein einen Abschluss zu haben Rütteln galore am Privileg, und ich werde bis heute von Kolleg_innen beizeiten für meinen „außerordentlichen Vorrat an Fachvokabular“ gelobt, weil es ja immer wieder ein spektakuläres Amusement ist, wenn jemand mit einem K*n*ken-Habitus wie ich mal „Distinktion“ sagt.

Sprache ist mein Privileg, ja. Aber um ein Privileg aufgeben zu können, muss man es erstmal haben. Ich habe es oft nicht, obwohl ich mir erlauben kann, schon mal in den typischen Straßensprech abzurutschen, für den ich dann aber natürlich auch oft genug auf die Fresse kriege. Ich blogge unter Real-Name im Netz, mein Arbeitgeber kann mitlesen, haufenweise biographische Posts erübrigen sich damit (aber nicht nur deswegen) von selbst, und wenn weiße Menschen mir jetzt nach all den Jahren meiner bisherigen Sprachdekonstruktion von außen sagen: „Wir verstehen Dich nicht“, dann sage ich: So. Egal, wie gerne ich sie mag.

Das Missverständnis, das mit diesen anderen Bewertungsschemata von Sprache zusammenhängt, zeigte sich mir aber erst, als wir irgendwo an einer Stelle einen wirklich ätzenden Kommentar, den Viruletta auf ihrem Blog erhalten hatte, diskutierten. Es war einer der typischen Klugscheißer-Kommentare à la „Alder les doch erstmal…“-Blabla, und mein Reflex war sofort, mich über das schlechte Schriftbild des Kommentatoren zu amüsieren. Die Zeche für Jahrzehnte: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ – „Danke, Sie aber auch!“. Etwas, dass nicht im Reaktionsrepertoire von jemanden liegen kann, der weiß-deutsch gelabelt wird, und der deswegen auf meinen Witz gekränkt reagieren könnte, vielleicht. Das weiß ich jetzt. Die Bananenschalen der Intersektionalität, sie liegen überall.

Solidarität, ja. Aber, ich las zum Beispiel auch diesen Satz hier, und ich fühlte mich direkt ausgeladen:

Solange ihr, die diese Texte ignoriert, euch Intersektionalität auf eure Fahnen schreibt, Theorien darüber schwingt, akademisierte, verschwurbelte Texte darüber schreibt und zeitgleich Klassismus ignoriert und Klassismus in euren Reihen reproduziert, bleibt mir gestohlen und feiert euch weiter in eurer links- und queer-elitären Bubble ab. Viel Spaß dabei!“

Dieser zitierte Text ist über eine Woche alt,  und wir haben viel diskutiert und/oder mitgelesen, und uns ausgetauscht, und ich weiß, natürlich stehen wir heute woanders, und natürlich ist das ganze Thema (…), und ich mag den Blog und die Texte, aber, ach. Denkt doch vielleicht nochmal drüber nach. Natürlich werden im Eifer des Gefechts mal Sätze, die sich erstmal gut anfühlen, auf den Bildschirm gekloppt.  Man weiß nie, wer sich am Ende damit wie fühlt, man kann es gar nicht wissen. Ich weiß auch nicht, wie vielen ich mit diesem Schnodder hier heute auf die Füße trete. Wem ich unangenehme Leseminuten bereite, auch wenn die eigentliche Intention ist, zu verstehen, was da jetzt eigentlich tagelang passiert ist. Und wenn ich hier irgendwo Kackscheiße schreibe: Immer rein in die Kommentare damit.

Es wurde viel über Bourdieu gezankt in den letzten Tagen, den ich auch schon mal lang und breit durchexerziert habe, damals jedoch wohl einen Kontext gewählt hatte, der dafür die meisten okay war, und dazu meine ich heute dann natürlich auch: Hey, Leudeeeee!

„Das Privileg des “Weißseins” bedeutet nämlich in diesem Falle nichts anderes, als das die Verortung im sozialen Raum insofern anders stattfindet, wenn die Variabel “nicht-weiß” nicht ins Gewicht fällt“, schrieb ich damals als Ergänzung an Bourdieu. Das würde ich heute wieder tun.

Und ich ärgere mich, dass wir nicht einen anderen Daueraufreger gefunden haben aus dem akademischen Blasülz, zum Beispiel Individualisierungstheoriemeister Ulrich Beck, der mit seinem Geschwurbel sehr viel näher dran ist an neo-liberalem „Müssen nur wollen!“-Trara als Onkel Pierre. Aber, der Salat ist da, und wir haben ja Zeit ihn lange genug auszulöffeln.

Solidarität also. Da bin ich für. Deswegen musste ich heute auch diesen Text für eine Freundin schreiben, der ich seit einer Woche nicht unter die Arme greifen konnte, weil ich mich erstmal austauschen, nachdenken und berappeln musste. Die ein paar Tage allein auf weiter Flur ausharren musste und dann doch nochmal die ein oder andere Granate gezündet hat, weil viele (glaube ich) gar nicht verstanden haben, was sie eigentlich sagen wollte. Weil das Verstehen auch gar nicht möglich sein wird, weil die Lebenswelten und Hintergründe so divers sind und Leute sich nicht begegnen. Und für all die anderen, die sich nicht an der Debatte beteiligen wollen/können, weil es für sie so viele Trigger gibt.

Denn die, die sich seit einer Woche darüber beklagen, dass sie nicht sichtbar sind, sind seit einer Woche – und noch viel länger – sichtbar. Und das ist ja auch gut so. Weil, wenn es darum geht, dass Leute in der Kacke sitzen, dann bin ich ja auch ganz: So. Aber, ich persönlich kann halt auch nicht immer alles unterschreiben. Nicht jeden Satz. Nicht jede Forderung. Isso, und wird andersherum auch nicht anders sein. Trotzdem, ich bin froh dass wir mal darüber geredet haben. Und jetzt, wo wir so viele Bäume gefällt haben, kann man vielleicht nochmal so in den Wald schreien, dass es mal ganz anders wieder hinaus schallt. Weil, irgendwie kann ich in Teilaspekten jede und jeden verstehen. Aber nicht immer komplett. That`s digital Life. Prost.

 

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Edits:

* Zu der Metapher „Rassismus-Texte“ siehe unten den Kommentar von Marissa, weil, right.

Getaggt mit

27 Gedanken zu „Intersektionalität: Dünnes Eis

  1. Bäumchen sagt:

    Hey Nadia
    Ich bin sehr dankbar dass du diesen text geschrieben hast. Seit zwei Tagen arbeite ich an einem Artikel darüber, wie sich Überlebensstrategien Betroffener beißen können(aber ich werde nie fertig weil mein Kopf glaub ich zu klein dafür ist). Denn das ist gerade das, was bei diesem Thema Klassismus so krass abgeht. Und gerade zerbricht vieles an diesen Widersprüchen.
    Du schreibst soviele und wichtige Dinge das ich gerade nicht auf alles eingehen kann. Nur erstmal: Weil ich Mitakteurin war bei der Klassismusdebatte im letzten Jahr und mit zu denen gehörte, die damals so entnervt waren wegen deinem Text. Erstens wollte ich für mich einfach nochmal sagen. Es ging mir nie um deine Sprache. Es war glaub ich einfach auch nur dieser eine Halbsatz indem du so tralala mäßig gesagt hast, dass wir ja eh fast alle nur Akademikerinnen* sind in dieser Bewegung. Also – das war auf die Kritik (und ja die taz ist scheiße und alles und das war beschissenes Derailing von denen um Feministinnen* nicht ernst nehmen zu müssen) irgendwie halt kein Argument oder einfach ein Argument das den Ausschluss legitimierte. Dass das ganze dann zu ner Sprachsache gemacht wurde und mir dann u.a. vorgeworfen wird es ginge mir ja nur um die Sprache, empfinde ich bis heute ziemlich genervt als Derailing. Ich habe bis dahin selber eigentlich nie über eine Vereinfachung meiner Sprache nachgedacht und ja, all dieses Lob von weißen Deutschen über die „gute Aussprache“ kenne ich sehr gut aus den eigenen Erfahrungen.
    Und dann: Ich glaub es hat mir auch wehgetan weil du das gesagt hast … also als eine die auch von Rassismus betroffen ist. Ich glaub über ne weiße Deutsche, die so geredet hätte hätte ich nur gelacht …
    Strategien sind so durchweg verschieden und können sich beißen und andere triggern undundund und die Auseinandersetzung auf takeoverbeta zeigt das sehr deutlich. Ich weiß nicht ob es jemals „die“ Lösung dafür gibt. Aber das, was du zuletzt sagst, ist halt wahr: „irgendwie kann ich in Teilaspekten jede und jeden verstehen“. Also danke erstmal dafür. Später vielleicht mehr.

  2. leelah sagt:

    Danke, Auch hier viele Dinge, die ich nicht teilen mag und alles. Aber noch mehr, das sich richtig anfühlt. Es ist schwierig.

  3. a light sneeze sagt:

    thank you so much for this.
    ich finde mich in deinem been there,done that ziemlich wieder (bin weiß, ich meine die studienbedingungen). das bringt für mich auch eine problematik dieser debatte auf den punkt: die parameter, die nicht feststehen, was es m.e. sehr verwirrend und jeden schritt auf dem eis gefährlich macht (wer „darf“ sich eigentlich diskriminiert fühlen, wer ist betroffen, wer soll privilegien checken gehen, und vor allem, wer bestimmt das alles?).

    ich habe diesen winter sehr viel halt+kraft in den so called bubbles gefunden. bin noch sehr am meinungsfindungsprozess dran, verstehe vieles nicht. scheitere nicht selten am fachvokabular. trotzdem ist das eine kleine zuflucht im netz geworden, in dem so vieles thematisiert wird (endlich), was mich bewegt.

    und die klassismusdebatte macht(e) mir angst – das war schon bei der im letzten jahr so. zum einen, weil ich den konflikt noch immer nicht ganz durchstiegen habe -jedes mal, wenn ich denke, ich hab’s, kommt ein neues posting,das wiederum andere aspekte beleuchtet. zum anderen, weil der umgangston in mir fluchtreflexe auslöst. diese mischung aus fresse/frechheit/trittindenmagen/fickt euch…und ich denke,natürlich, ich würde mich auch angegriffen, „nicht gesehen“ fühlen, diskriminierung soll/muss aufgezeigt werden können, ohne dass wer mit dem finger wedelt, und einwwände müssen erhoben werden können, ohne dass diese sofort als privilegiertes mit-dem-finger-wedeln abgestraft werden..
    doch zugleich schrecke ich vor dieser aggressiven sprache zurück, was mich dann hindert, mir meine meinung zu bilden, geschweige denn auszudrücken.
    bei mir entsteht der eindruck, wenn ich nicht jeden buchstaben dreimal umdrehe, wird u.u. verbal auf mich eingeschlagen. und ich kann das nicht, immer alle buchstaben umdrehen. ich weiß einfach nicht, welche richtung die richtige ist. ich weiß nichtmal, ob ich die richtigen buchstaben in der hand halte.

    ich habe demnach auch schiss, diesen comment hier zu posten, aber ewig verkriechen ist mir auch keine lösung – wo denn positionieren üben, wenn nicht hier… denn ich würde gern verstehen. ich würde gern über erfahrungen kommunizieren und mich mitteilen.

    dein artikel hinterlässt mir somit kein unangenehmes gefühl, im gegenteil. ich dachte beim lesen grad so:
    endlich ein post, vor dem ich gar keine angst habe.

  4. Marissa sagt:

    Hm, ich habe lange an einem Text gesessen und jetzt doch beschlossen ihn nicht abzuschicken. Vielleicht zu knapp an derailing vorbei. Zu persönlich.
    Deshalb schreibe ich jetzt nur, ich mag deinen Text, bei weitem nicht alles davon, aber vieles kann ich verstehen und als WoC auch nachvollziehen.
    Aber, und das ist ein großes aber, wie kommst du denn auf die Idee, dass alle Menschen die von Rassismus betroffen sind, auch Englisch verstehen und lesen können? Die Vorannahme die dich zu der Schlussfolgerung führt möchte ich eigentlich nicht gern verstehen. Ich gehe einfach mal davon aus, das war jetzt nicht durchdacht und das würdest du so auch nicht unterschreiben. Das hieße nämlich im Umkehrschluss, dass die Hälfte meiner Familie, die aufgrund ihres geringen Bildungsstandes sehr schlecht oder gar kein Englisch spricht, nicht von Rassismus betroffen ist.
    Und das ist, da sind wir uns hoffentlich einig, quatsch.

    • shehadistan sagt:

      @marissa: zu dem englisch-dings: natürlich gehe ich nicht davon aus dass alle englisch reden können. ganz genau müsste es also heißen: alle sprachen falllls es mal sprachbarrieren gäbe. ist eine metapher, nicht die beste, und du hast natürlich recht.

      • Marissa sagt:

        Das sollte wirklich keine Wortklauberei sein, ich hab mich nur auf die Füße getreten gefühlt, vielleicht aus einer Kombination heraus, dass ich so oft auf Englisch, statt auf Deutsch, angesprochen werde und mich das wahnsinnig nervt, und aus einem Abwehrreflex heraus, der wohl schon was mit Klassismus zu tun hat, dass innerhalb gewisser Kreise immer davon ausgegangen wird, dass alle Menschen super Englisch können. Aber wieauchimmer. Kein derailing mehr von meiner Seite.

  5. long_way_up sagt:

    meine schöne Nadia,

    Stern am Nachthimmel weit unterm fünfzigsten Breitengrad,
    warm wird mir das Herz inmitten des Bielefelder Schnees.
    So kostbar, dieser Mensch, der noch „Freundschaft“ sagt,
    wenn selbst Schwestern glauben, dass nichts mehr geht.

    In alter Liebe
    long_way_up

  6. „Ich weiß aber tatsächlich nicht, wie sich jemand, der weiß ist, fühlt, wenn er aufgrund seiner Sprache benachteiligt oder diskriminiert wird.“

    Du wirkst eigentlich relativ weiß, also den Bildern nach.

    Wirst du nie weiß gelesen?

    Ich könnte mir schon vorstellen, dass dir Leute, gerade in Vergleich zu Leuten, die eher als PoC gelesen werden, Privilegien aufgrund deiner Hautfarbe zugestehen.

  7. Moons sagt:

    @ChristianAllesEvolution: Du wirkst eigentlich relativ dummdreist, also dem Kommentar nach

    • @moons

      Ich kenne ja nur die Fotos und für Privilegien kommt es meines Wissens nach darauf an, wie man gelesen wird oder? Diese werden ja schlicht nach dem Erscheinungsbild vergeben

      • distelfliege sagt:

        Ja, DU „kennst nur die Fotos“. Aber du musst schon wissen, in der Welt gibs noch mehr Leute ausser dir, die andere Dinge kennen wie du und das ergibt irgendwann so ein Gesamtdingsie, „Gesellschaft“ genannt, und wie die „Gesellschaft“ dann eine Person liest und in der Folge handelt, das wird die Person wohl am besten wissen. Besser als eine Person, die im Internet ein Foto sieht und denkt, der Eindruck, der ihr subjektiv aus einem kleinen Foto ensteht, wäre sicherlich relevanter und gültiger als was in dem Artikel zu lesen steht.

      • @distelfliege

        Wenn ich die Theorien richtig verstanden habe, dann ist es gerade für denjenigen mit (mehr) Privilegien am schwierigsten, diese zu erkennen und zu hinterfragen. insofern finde ich es interessant, dass du hier ihre Selbstwahrnehmung so hoch wertest.

        Also alle PoC sind eine Stufe und Leute, die mit einer dunkleren Hautfarbe deutlich mehr auffallen und „anders“ aussehen haben nicht mehr Nachteile als Leute mit einer helleren Haut?

      • shehadistan sagt:

        ?
        stellst du diese frage im ernst? ich würde ja gar nicht auf deinen comment antworten aber das wird hier ja langsam unfreiwillig komischER.

      • Vernunftsstalinist sagt:

        Jo, hast recht.
        Nach postmoderner Diktion müsste Nadia erstmal ihre Privilegien reflektieren, anstatt in ihren Texten zu orakeln, wie sich WOC mit dunkler Haut fühlen

      • shehadistan sagt:

        schließlich weiß ich am besten wie andere sich fühlen, immer und immer!

      • @shehadistan

        „stellst du diese frage im ernst?“

        Ja, die Antwort würde mich interessieren. Ich hatte mal etwas dazu gegoogelt, aber nichts so richtig aussagekräftiges gefunden, wobei ich nicht ausschließe, dass ich die falschen Stichwörter benutzt habe.

      • shehadistan sagt:

        hahaha ehrlich, ich feier dich echt als derailing-könig ab hahahaha 😉

      • @Shehadistan

        Jetzt habe ich sogar was gefunden:

        Huey Newton Complexes

        In order to further facilitate a nuanced discussion of blackness, namely as it pertains to skin privilege, we’ve started a light skin privilege list that we invite light skinned sisters to make on their own. We all know that the real number one is admitting you have a problem–or are one. Word to DuBois, O.G. light skinned cat.

        Light Skin Privilege Checklist

        In most situations where I am with other people of color, white people will try to communicate with me first.

        I am more likely to appear in the media, especially if my skin affords me the designation “omniracial.” (Hello, Beyonce.)

        People will think I am pretty. full stop.

        I am more likely to get a promotion than my darker skinned counter parts.

        I can write blog pieces about my skin color and not reflect on the privileges that are associated with it. (Wallace Thurman notwithstanding, literature, films, blogs are littered with primary and secondary textual analysis of the meanings of light skinnededness.)

  8. […] Lesetipps: Intersektionalität – Dünnes Eis. […]

  9. Danke, Shehadistan, für den langen und vielschichtigen Artikel.
    Letztlich denke ich (als Weiße – was für ein Wort), dass long-way-up Recht hat mit ihrer Aussage, dass bestimmte Ideologien den Blick auf den Menschen verstellen.
    Ich finde mehr Klarheit in deinen und ihren Aussagen als in denen, die eine „verschwurbelte“ „akademische“ Sprache unterstellen.

  10. […] Alles nicht so einfach, findet Nadia in ihrem Text auf Shehadistan zu “Intersektionalität: Dünnes Eis“. […]

  11. accalmie sagt:

    m) – kannst Du evochristian bitte ab sofort immer freischalten, das ist einfach zu unfrewillig komisch, das nicht zu teilen :D… („OK, ähm… Google-Search… Doppelklick… Also, äh… Hell + Dunkel + Privileg + PoC + Gelesen… Mmh… Google Images…? …kommt ja nüscht Verwendbares im Kampf gegen diesen Antira-Poststruktualismus-Feminismus-Islamismus… :(… Ich frag mal die Hellere von den Dunklen dort…“).

  12. Vernunftsstalinist sagt:

    Was ich mit meinem zugegeben recht trolligen Beitrag sagen wollte:
    Ist es aus postmoderner Perspektive nicht problematisch wenn privilegierte POC (hellhäutig, akzentfrei, …) eben mit dem Label „of color“ gleichzeitig für andere sprechen? Bei weißen heißts ja oft, die sollen sich nichts anmaßen, einfach zuhören und übers Privileg nachdenken.

  13. Marissa sagt:

    Wie schön, dass hier einige jetzt im Ernst über Hautfarbenabstufungen diskutieren wollen *Ironie*
    Und danke auch, dass sie uns erzählen wollen, dass wir, weil wir ja jetzt echt nicht sooo dunkel sind und so, keine Rassismuserfahrungen machen oder auf jeden Fall keine, die irgendwie so relevant wären, dass wir auch darüber sprechen dürfen. Denn damit sind wir ja echt schon fast wieder weiß oder was?
    Klar bekomme ich als Latina andere rassistische Stereotype ab, als eine Schwarze Frau oder eine asiatisch aussehende Frau. Kann man drüber reden. Aber nicht in dem Zusammenhang und vor allem – zu dem Post? Und nur um Shehadistan quasi den Mund zu verbieten?
    Das ist so ärgerlich und sichtbeschränkt, dass es tatsächlich schon wieder, ja, komisch ist.

  14. […] sich gegenseitig wegzudefinieren, dann schadet sie mehr, als sie nutzt. Die Bloggerin Bäumchen schreibt: Seit zwei Tagen arbeite ich an einem Artikel darüber, wie sich Überlebensstrategien Betroffener […]

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