Critical Whiteness und das Ende der Sektstimmung

Katrin Rönicke betreut beim FREITAG ihre Bildungskolumne. Dort hat sie just ein Buch vorgestellt, das sie einige Zeit beschäftigt hat: Noah Sows „Deutschland Schwarz Weiß“. Sows Buch entfaltet das Thema „Alltagsrassismus“ anhand vielzähliger und diverser Beispiele – es ist ein Buch, das keinen methodologischen Regeln im akademischen Sinne folgt. Und das muss es auch nicht. Das Werk bewegt sich außerhalb des Paradigmas, das institutionalisiertes Wissen nur mit dem exakten Stempel durchwinkt. Und das ist wahrscheinlich sehr gut so. Die Empirie ist stark, und es gelingt aufzuzeigen, wie sehr Rassismus und Alltagsrassismus sämtliche unserer Strukturen durchziehen: Mikromechanismen werden sichtbar. Es wird klar, dass Rassismus in unserem Land kein Problem irgendeines Zentralapparates ist, der sich mit einer bestimmten Intention für seine Ausübung entscheidet, sondern dass er in jeder Ecke unserer Gesellschaft heimisch ist. Ü-ber-all. In jeder Faser des Alltags.

Es gibt keine Rassismus-befreiten Zonen. Punkt.

Kulturell, sozial, politisch, ökonomisch: Es gibt keine Rassismus-befreiten Zonen in Deutschland. Das ist das Resümee des Buches, und es schmerzt vielleicht manchen (weißen) Leser noch mehr, wenn ihm dann auch noch direkt mitgeteilt wird, dass auch er ständig an den vielzähligen Mikromechanismen mitwirkt, ob er es will oder nicht. Weil er nicht anders kann. Nicht weil er sich individuell dafür entschieden hätte, rassistisch zu sein, sondern weil jeder (von uns) personaler Mittler der strukturellen Widersprüchlichkeiten ist – auf welche Art, in welcher Ausprägung auch immer.

Und Rönicke hat nun also einigermaßen unter Sows Buch gelitten. Vor Veröffentlichung ihres Textes („Du sollst Deine Leser nicht beschämen„) hat sie schon bei Twitter erste Einschätzungen verlauten lassen und ihrem Unwohlsein Luft gemacht. „Schwierig“ finde sie die Theorie der „Critical Whiteness“ schreibt sie in ihrem Text:

„Sie ist schwierig, weil sie davon ausgeht, dass eigentlich alle Weißen nicht anders können, als Rassisten zu sein. Der Feind ist überall und dabei wird es schnell undifferenziert und einseitig. Um diese Haltung zu sichern, wird sich des Konzepts der „Definitionsmacht“ bedient, das vermeintlichen Opfern zuspricht, alleine darüber zu bestimmen, wann Handlungen als Gewalt und Diskriminierung zu benennen sind. Das nutzt Noah Sow, versagt damit aber den Lesenden den Respekt, wenn sie schreibt: „Das haben Sie jetzt alles gelesen und finden das wahrscheinlich ebenso schlimm wie ich. Sie wissen aber immer noch ganz genau, dass Sie kein Rassist sind. Woher? Weil Sie keiner sein wollen. Da habe ich leider eine schlechte Nachricht für Sie…“ und nun folgt eine Auflistung an Fakten des Alltagsrassismus in Deutschland (in dem wir ja zugegebenermaßen alle aufgewachsen sind), die unweigerlich dazu führten, dass weiße Deutsche per se privilegiert seien.“

Rönicke möchte natürlich keine Rassistin sein. Keiner möchte das. „… dass weiße Deutsche per se privilegiert seien“, – das löst einen Abwehrmechanismus aus. Warum? Weil Rönicke Noah Sow unterstellt, sie hätte vielleicht nicht gesehen, dass es auch unprivilegierte Weiße gibt? Natürlich gibt es die, und ich denke, Noah Sow wäre die letzte, die diesen in ihrem Werdegang nicht begegnet wäre – Anlässe gab es schließlich genug. Was Rönicke sich vielleicht nicht vorzustellen mag ist, dass die gesellschaftliche Verortung in einem sozialen Raum immer mehreren Dimensionsebenen unterliegt. Was sie sich – obschon sie Pädagogin ist – vielleicht nicht vorstellen kann: Multidimensionalität. Vielleicht hat sie es einfach vergessen?

Sozialer Raum und Kapital vs. „Bei-mir-war-das-aber-so-und-so“

Im Grundstudium habe ich mich wie viele andere zum ersten Mal mit Pierre Bourdieus Theorien beschäftigen müssen. Die Tragweite seiner Ideen und wie sie mein eigenes Denken prägen sollten konnte ich damals nur erahnen – auch wenn man vieles an Bourdieu selbstredend mittlerweile staubig oder auch nicht hundertprozentig zutreffend finden kann. „Die feinen Unterschiede“ („La distinction. Critique sociale du jugement“wurde uns auf die Lektüreliste gesetzt, zudem ein Abriss seiner Kapitaltheorie, die wir für die Zwischenprüfung durchkauen sollten.

Wenn ich nun an die kulturellen Abgrenzungsmechanismen zwischen gesellschaftlichen Schichten denke, die Bourdieu in „Die feinen Unterschiede“ meisterlich herausgearbeitet hat, dann wird mir klar, warum Rönicke sagt: Es tut mir leid, aber ich finde, ich bin keine Rassistin. Weil sie es muss. „La distinction“ wird für jeden Bildungsbürger, für jedes Subjekt, das sich als reflektiert und offen und problembewusst empfindet – und so wird es uns schließlich eingebläut – zur Folge haben, dass man das Label „Ich, Rassist?“ jederzeit mit einem „Nein.“ quittieren muss. Weil der Habitus es vorgibt. Es geht nicht um individuelle Verhaltensmuster, die bewusst ausgewählt werden können, sondern um limitierte Praxisformen und Verhaltensstrategien.

Und deswegen ist es auch egal, das Rönicke schreibt: „Nein, Noah Sow kennt mich nicht.“ Denn Noah Sow muss niemanden persönlich kennen, um festzuhalten, dass man in Deutschland nicht frei von rassistischem Gedankengut aufwächst.

Bourdieus Kapitaltheorie. Auch sie ist heute mit Sicherheit streitbar, da sie verkürzt und zum einen selbst eingebettet ist in ein Denksystem nord-westeuropäischem Weißseins. Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, symbolisches Kapital. Runtergebrochen übersetzt: Geld, Bildung, Kontakte, Prestige. Das „Weiße“ der Theorie entpuppt sich in der Tat zum Beispiel im Termini „Kulturelles Kapital“ an der Stelle, in der es um „inkorporierte Kulturcodes“ geht. Dass diese existieren ist nicht abzustreiten. Warum unterschiedliche Kulturcodes zu vermeintlichen Missverständnissen führen können/sollen (und in welchen Kontexten, in welchen Bewertungsmustern), wird jedoch kaum behandelt. Das war aber auch nicht Bourdieus Intention – führt aber dazu, dass die Theorie als Gesamterklärungsmodell für das Herstellen von Gesellschaft jedoch nicht hundertprozent tauglich ist.

Wohin man die Variable „nicht-weiß“ (und ähnlich gelagerte, bspw.: Migrationshintergrund) packen kann, müsste für Bourdieus Kapitaltheorie noch ausgelotet werden – er hat sie nicht bedacht, obschon im Frankreich der 70er Jahre auch ethnische Zuschreibungen eine Rolle gespielt haben dürften. Ich ordne sie der Einfachheit halber im „symbolischen Kapital“ ein, auch wenn dies nicht der glücklichste Ansatz sein dürfte. Dennoch – ausgeklammert werden dürfen sie auf keinen Fall.

Es reicht aber allemal, um nochmal darauf hinzuweisen, dass Rönickes Argument „Es gibt auch diskriminierte Deutsche“ nicht ausreicht, um damit zu versuchen, die Tragweite von Rassismus abzuschwächen. Das Privileg des „Weißseins“ bedeutet nämlich in diesem Falle nichts anderes, als das die Verortung im sozialen Raum insofern anders stattfindet, wenn die Variabel „nicht-weiß“ nicht ins Gewicht fällt. Für alles andere gibt es noch die anderen Dimensionen, und darum soll es gehen, wenn man wünscht, Hegemonien aufzuzeigen. Multidimensionale Erklärungsmöglichkeiten statt „Bei-mir-war-das-aber-so-und-so“.

Der Wissenserwerb, so fährt Rönicke fort, sei durch Unwohlsein gescheitert:

Ich fühlte mich dennoch nicht wohl. Ich wollte lernen und wurde wegen meiner Hautfarbe unter einen Generalverdacht gestellt. Dabei habe ich als Pädagogin eigentlich das Gegenteil verinnerlicht: Die wirklich guten LehrerInnen respektieren ihre SchülerInnen – das ist doch die Grundvoraussetzung für Lernen und eine gelungene Bildungsbeziehung!

Diese Sätze werden dann zum Hohn, wenn man sich anschaut, wie Rönickes Rezension verpackt ist: Mit einer Headline, die ihresgleichen sucht, darunter das Bild Sows, im Text zudem die subtile Unterstellung, Sow wolle gar keine Bildungsarbeit leisten, sondern sich an ihrem Generalverdacht gegenüber weißen Deutschen abarbeiten, den sie fehlgeleitet entwickelt habe. Dass eine Abhandlung über Rassismus in Deutschland vielleicht keine Kuscheldeckenveranstaltung sein kann, dass es Sow absolut egal sein muss, wie „wohl“ sich der Leser fühlt – das spielt hier keine Rolle mehr.

Das Ende der Sektstimmung

Sicher, man kann am Konzept der Critical Whiteness vieles kritisieren. Ich habe es auch schon getan. Und natürlich leidet die Treffsicherheit eines Konzepts, wenn es aus dem amerikanischen Raum auf Zustände übersetzt wird, in denen auch Antisemitismus und Rassismus gegenüber Muslimen einen hohen Stellenwert haben. „Du sollst Deine Leser nicht beschämen“ jedoch ist nicht mehr als das Abwatschen der Wissensproduktion einer Frau, die im Gegensatz zu Rönicke weiß wovon sie redet.

Rönickes Text hat mich beschämt – vor allem aber auch, weil es mich an die größte Schwachstelle von „Deutschland Schwarz Weiß“ erinnert: Der Nährboden, auf den dieses Buch fällt. Es geht um das Aufzeigen einer bitteren Realität, um Ware für das „aufgeklärte“ Bildungsbürgertum – das sich mit dem Konsum derartiger Produkte das Gewissen rein zu waschen versucht. Und entnervt aufstößt, wenn es befürchtet, dass mit solchen Werken die Sektstimmung empfindlich gestört wird.

Getaggt mit , , , , , , ,

14 Gedanken zu „Critical Whiteness und das Ende der Sektstimmung

  1. […] 5]: Nadia at Shehadistan has written an actual answer to Katrin Rönicke’s column. Share this:ShareFacebookTwitterPinterestTumblrLike this:Like7 […]

  2. sorim sagt:

    Ich finde mich sowohl in Deiner, als auch Rönickes Position in Teilen wieder. Die CW_Kritik auf Mädchenmannschaft teile ich. CW fand ich beim ersten Kontakt damit genauso beleidigend wie Rönicke. Dabei werde ich von wildfremden Menschen als PoC kategorisiert. Erst die Verwandschaft von CW mit feministischen Kritikformen versöhnte mich etwas.

    Was dennoch bleibt ist ein Unbehagen in Bezug auf den Tonfall und die Implikationen der Theorie: da bin ich wieder bei Rönicke. Es gibt nicht die Rassismus-Essenz im Weißsein. So funktioniert aber Sows Rhetorik. Im Sinne von: deine Position im Rassismus-Diskurs ist durch deine Hautfarbe determiniert. Und zwar dichotom. Das entspricht nicht der differenzierten Kritik, die ich aus intersektional und anitkategorial funktionierenden Diskursen gewohnt bin. Sow ist in ihrem Buch extrem polemisch und möchte weiße Lesende ohne Kenntnis derer sonstigen Positionierung lächerlich machen. Und ja tatsächlich: beschämen. Und das, nachdem versichert wurde, dass keine Hierarchsierung oder Entkontextualisierung von Diskriminierungskategorien vorgenommen werde. Das ist genau das Double-Bind-ähnliche Lippenbekenntnis, das den Rassist_innen vorgeworfen wird: Wir sehen dich in deiner gesamten Position … aber eigentlich bist du nur ein xxx (fügen sie hier ein: Rassist, Schwarzer, Behinderter, Mann, Schwuler).

    CW hat als Theorie viel Gutes zu bieten. Aber die Erkenntnisse sind weder neu, noch bedürfen sie zwingend neuer Begriffe wie „PoC“. In der Herrschafts-Kritik der letzten Jahrzehnte sind die Mechanismen, nach denen Herrschaft funktioniert bereits gut beschrieben. Undzwar kategorienübergreifend. Und nicht deterministisch, sondern mit der Aufforderung nach Dekonstruktion. Das eindeutig Schlechte an CW sind Autor_innen, die im Namen von CW anderen Antirassistinnen schon auf Grund ihrer genetischen Ausstattung entweder einen Freibrief in Sachen Rassismus oder eine Aburteilung ausstellen.

    Als weitere Analogie: im feministischen Diskurs gibt es den „Schwesternstreit“ als Bild für verschiedene Konflikte. Z.B. „du bist keine richtige Feministin, weil du nicht dick bist, du bist zu nah am Ideal“, du bist keine richtige Frau, weil du keine Muschi hast“, „kein als Mann geborener Mensch kann eine als Frau geborene Person jemals verstehen“. Ich hoffe, dass sich in der CW-Kommunikation solche Streitigkeiten bald von selbst entkräften. Denn sie vergiften das Klima unter antirassistisch engagierten und motivierten Menschen ebenso, wie es subtiler Rassismus bereits tut.

    Rönicke passiert vielleicht, was mir auch passierte: Eine Theorie, die mir in Form einer Beleidigung aufgetischt wird, will ich erstmal zurückweisen. Denn eins sollte doch eindeutig und unmißverständlich klar sein: Rassismus geht von allen aus. So wie Sexismus von Frauen reproduziert werden kann. Lediglich die Privilegierung ist ungleich verteilt. Das ist allerdings Kritik wert. Aber die gab es wiederum schon lange vor CW…

  3. sorim sagt:

    Nachtrag: Ich glaube, dass Sows Buch am besten als Polemik zum Thema CW eingestuft wird. Denn ihre Argumente entsprechen nicht dem, was man in einer ernsthaft geführten Diskussion um CW hören würde. Demnach muss ich meine oben gemachten Aussagen auf die Art relativieren: sie beziehen sich auf Sow’s Polemik, nicht auf die Theorie an sich.

  4. […] Ausführliche und lesenswerte Ausführungen bei Shehadistan […]

  5. […] gar nicht, wo sie_er anfangen soll. Einen schönen umfassenden Beitrag gibt es bei shehadistan mit Critical Whiteness und das Ende der Sektstimmung. Und in Keine falsche Scham auf takeover.beta betreibt Stephanie ein kleines feines Gedankenspiel […]

  6. […] et al. bedient Frau Rönicke die mehrgesellschaftliche Bedürfnislage mit Bravour. Laufmoos, Shehadistan und Takeoverbeta haben das bereits brilliant heraus gearbeitet; ich verstehe meinen Text als […]

  7. monodromie sagt:

    vielleicht ein kurzer Kommentar hierzu:

    „Es gibt nicht die Rassismus-Essenz im Weißsein.“

    Interessant dass ausgerechnet ein weisser Rassismus-Theoretiker, naemlich Leon Poliakov, dies anders sah, der den historischen Ursprung des Rassismus gaenzlich ausschliesslich in weissen europaeischen Diskursen verortet, ganz wie aderswo schon angedeutet, als Folge und gleichzeitige Legitimierung des Kolonialismus und tatsaechlich meint obiges Zitat ja weniger, dass CW-Verfechter dem ‚Weisssein‘ eine gewissermassen biologische Tendenz zum Rassismus unterstellten, sondern dass sie den Rassismus angeblich irrigerweise historisch und funktional im Weisssein verorten. Wer ersteres behauptet verdreht aber in platter Art und Weise die taegliche gnadenlose Funktionalitaet von Diskriminierungserfahrungen mit angeblich von Betroffenen ausgehenden Biologismen, die aber nach wie vor existent und von Weissen (und nur von diesen) taeglich perpetuiert genau diese sowohl historisch als auch praktisch grundieren und grundierten. Behauptet man aber letzteres, macht man sich bestenfalls eine sicherlich eventuell im ‚postmodernen‘ Diskurs bestehende Tendenz zu eigen, biologischen Rassismus mit Kulturalismus oder Ethnozentrismus umstandslos gleichzusetzen, denn nur letztere zwei wurden und werden historisch nicht nur von Weissen verbreitet. Schlechtestenfalls aber verleugnet man simplerweise die Exklusivitaet der menschenverachtenden Theorien und Praxen die von weissen (Europaern) historisch betrachtet ueber die Menschheit gebracht wurden, mit speziellem Fokus auf der Verleugnung der Rolle den die Deutschen dabei hatten, als derjenigen Kultur, die historisch betrachtet den Rassismus als erste und mit vernichtendster Konsequenz zur Staatsform erhoben hat. Zu glauben, diese Diskurse waeren 1945 oder 1968 einfach irgendwo im off des deutschen Verfassungsschutzes oder der NPD versickert, ist nicht nur hochgradig naiv sondern objektiv betrachtet falsch. Es gibt gewisse rassistische Diskurse, die nur von Weissen ausgehen und mit ‚an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit‘ auch von jedem Weissen, der mit diesen Diskursen sozialisiert wurde, ausgehen, ausgingen und unter geeigneten Bedingungen ausgehen werden, das zeigen Texte wie jene der AK am allereindringlichsten.

  8. sibiuaner sagt:

    Meiner Erinnerung nach legt Noah Sow einfach nahe, sich eben nicht mit der Frage aufzuhalten, ob Weiße Rassist*innen sind oder nicht, sondern selbstkritisch die eigene Position in einer rassistischen Struktur zu reflektieren. Ich kann als weiße*r Mensch natürlich Privilegien einfach leugnen, die sich aufgrund meiner strukturell rassistischen Umgebung ergeben — und sagen „was kann ich für meine Privilegien“ oder „was kann ich für meine Soziaisation“. Das zu überwinden und darüber mal nachzudenken statt einfach in welcher Form auch immer zu blocken oder abzulenken war meinem Eindruck nach Sows Anliegen mit ihrem Buch. Und die Texte, die ich bisher über CW gelesen hab, verstand ich auch nie biologisierend, sondern bezogen auf die unterschiedlichen Positionen bzw. Positions-Zugänge von weißen und PoC: In der uns zur Gegenwart prägenden rassistischen Struktur profitiere ich als weißer Mann von Privilegien. Und im Gegenzug dazu bleiben mir Rassismus-Erfahrungen (wie sie PoC, Schwarze Menschen oder andere nicht den gegenwärtigen Weißseinsvorstellungen entsprechende Menschen machen) vorenthalten. Ein deutsches Gericht entschied jüngst, dass racial profiling von der Polizei legitim sei — PoC im Gegensatz zu weißen Menschen als stärker kriminelle Menschen zu verdächtigen wurde damit juristisch abgenickt. Damit haben wir es also sogar amtlich, dass ich als weißer von diesen konkreten und vielen weiteren potentiellen und tatsächlichen Rassismuserfahrungen einfach absolut nicht betroffen bin. Und das tolle: Mit meiner Sozialisation wird mir das sogar als Normalität verkauft. Sow bricht das in ihrem Buch wunderbar auf und verzichtet dabei auf akademisches Gefloskel und erreicht so vielleicht Menschen über den wissenschaftlichen Diskurstellerrand hinaus. Sich jetzt an Ausdrucksweisen und stilistischen Fragen aufzuhalten verdekct prima den Inhalt von Sows Buch – und die Bedeutung solch einer weiß positionierten Abwehrhaltung beschreibt Sow ja gerade auch. Also ich bin Noah Sow dankbar für dieses Buch, dass mich weiter sensiblisiert hat für den normalen Rassismus im eigenen (tja links geprägten, kritischen) Umfeld und mir sogar kleine Hilfestellungen gibt, mich damit auseinanderzustzen. Dass ich dabei Dinge sehe, die mir unangenehm sind, die ich bisher vielleicht weggeschoben oder verdrängt hab, das ist doch keine negative Folge, sondern Teil der Auseinandersetzung mit Rassismus. Und ich glaube mich zu erinneren, dass Noah Sow von der ersten Seite an auch darauf hinnweist, dass der folgende Text für die meisten weißen Menschen unangenehm sein könnte. Sie hatte wohl Recht.

  9. Hatte mich bislang nicht mit der Diskussion beschäftigt. Jetzt, da Rönicke in ihrem FAZ-Blog schrieb, bei Twitter sei sie „die Rassistin“ (ganz schön Schneewittchenhaft! Spieglein, Spieglein … ich hab in ihr bislang keine Rassistin gesehen) hab ich mich mal genauer mit Noah Sow befasst und finde sie ziemlich cool. Was Rönicke da schrieb, ist kritikwürdig. Dass Rönicke das nicht sieht, und daraus resultierend auch nicht sieht, dass der „Gegenwind“ gegen sie eine Begründung hat, ist schade.

  10. […] wurde viel über Bourdieu gezankt in den letzten Tagen, den ich auch schon mal lang und breit durchexerziert habe, damals jedoch wohl einen Kontext gewählt hatte, der dafür die meisten okay war, und dazu […]

  11. Zhao sagt:

    Ich denke, die anglo-amerikanische Whiteness Debatten kommen auf sehr seltsame Weise hier an, was die Schuld der weissen Deutschen ist. Einfach die englischen Originalarbeiten lesen und die Entwicklung parallel durch Filmwissenschaft, Kunstwissenschaft, Stadtforschung, Ökonomie, Geschichte, Musik, Rhetorik und Gesang durchziehen.

  12. […] wenn ich etwa über Rassismus oder Feminismus spreche. Mich von den Bequemlichkeiten (oder: der Sektstimmung?) tragen zu lassen, die sich auch im Bereich des Aktivismus eröffnen, wäre für mich persönlich […]

  13. […] Critical Whiteness und das Ende der Sektstimmung […]

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.

%d Bloggern gefällt das: