Es rumpelte gestern in meinem Internet, beziehungsweise: Heute Nacht. Da wurde in meinen Social Network-Accounts ein kleines Lehrstück darüber aufgeführt, wofür junge Menschen heute noch auf die Straße gehen würden – zum Beispiel nämlich für YouTuber_innen mit in der Tat unangenehmen Geschäftspartner_innen. Die erfolgreiche Internet-Subkultur in Zeiten des Konsumismus hat es geschafft, mit einem Vermarktungsproblem die Massen zu mobilisieren – während viele andere soziale Missstände niemals mit so einer Vehemenz und Reichweite kritisiert werden könnten. Der Hashtag zum YouTuber_innen-Erdrutsch (#Freiheit), ausgelöst durch das Aussteiger-Ankündigungsvideo eines jungen Mannes, trendete weltweit und löste Reaktionen aus, von denen das gutbürgerliche Feuilleton ganzjährig nur träumen kann.
Doch nochmal von Anfang an: Es war gegen elf als mir gestern abend ein kleiner, ganz süßer Tweet in meine Timeline gesetzt wurde, der aber aus unerfindlichen Gründen unfassbar viele Favs hatte:
„Irgendwas mit YouTube-Community“, dachte ich mir da schon dunkel, denn die YouTuber_innen versammeln eine Follower_innenschaft in einer Masse, wie sie sich Großverlage und Plattenlabel mit High-End-Marketing-Aktionen erstmal teuer erkaufen müssen. Aber was hatte es mit dem großspurigen Hashtag auf sich? Das sollte sich mir nach und nach eröffnen, als mir später ein Video von einem zumindest im Netz bundesweit bekannten YouTuber, Simon Unge, in meine virtuellen Mietflächen gespült wurde. Ein Mann, ein Video, Millionen Follower_innen, Millionenreaktion. Der Fall war einigermaßen klar.
Doch gucken wir nochmal auf die letzten Jahre: Da hat YouTube mit den ganzen YouTuber_innen eine globale Subkultur möglich gemacht, die längst schon im Mainstream angekommen ist, mit Protagonist_innen, die teilweise prominenter sind als vom Fernsehen angepriesene „Stars“ und mehr Reichweite haben als manch reputierte_r Künstler_in. Zum Vergleich: Die Musikerin FKA twigs, der man tatsächlich für 2014 sowas wie einen internationalen Durchbruch nachsagen kann, versammelt bei Facebook schmale 180.000 Fans. Sami Slimani, eins der Fame-Flaggschiffe der YouTube-Vlogger_innen-Community, folgen auf der blauen Seite über 750.000 Personen – Tendenz steigend, Rekrutierungsbereich dabei beschränkt auf den deutschsprachigen Raum. Da kann man über außerordentliche Zahlen sprechen und über Klicks, die seinesgleichen suchen. Ich weiß nicht wie man das Phänomen nennen kann, für das diese Millionenmagnete im Netz stehen, aber Viralautomatismus wäre vielleicht ein passendes Wort. Oder: Digitales Kapital. Und wenn wir über virale Effekte sprechen, müssten wir dann nicht auch über Viral-Solidarität reden?
Auf jeden Fall: Da, wo die Follower_innen sind, ist die Reichweite, und da, wo es um Reichweite geht, geht es um Geld. Und bei Geld hört der Spaß auch ganz oft auf. Das befand auch Unge, Betreiber der höchst erfolgreichen Channels „ungefilmt“ und „ungespielt“, und einer, der ebenfalls in der Lage ist ein mehrfaches Millionenpublikum zu adressieren. Eine „folgenschwere Entscheidung“ habe er getroffen erklärt er, und zwar werde er seine beiden Kanäle einstellen. YouTube sei sein Leben, damit werde er auf jeden Fall weitermachen, aber er könne unter diesen Umständen nicht mehr weitermachen wie bisher und es gäbe eine Sache, die ihn extrem störe, und zwar sein Netzwerk, Mediakraft, quasi ein „Musiklabel für Youtuber“.
Was Unge mit dem Video verursacht hat war dann tatsächlich sowas wie ein virtuelles Erdbeben: Der Hashtag #Freiheit trendete weltweit, prominente YouTuber_innen versicherten ihre Solidarität, doch es gab auch kritische Stimmen, die die Rezeption des Hashtags (für einige Inhalte kann tatsächlich eine Content-Warnung ausgesprochen werden) kritisierten:
Als Berufsskeptikerin reihte ich mich natürlich ein in die Reihe der Zweifler_innen (und nein, ich werde nicht von Mediakraft vertreten. Haha!):
Ob es doch aber nicht auch um Kapitalismus und Ausbeutung gehe bei #Freiheit, wurde mir angetragen. Aber diese Frage stellt sich mir primär nicht – auch, weil ich mich frage, in welchem Maße ein YouTuber mit hoher Reichweite und guten Re-Monetarisierungsmöglichkeiten (auch ohne Label) ausgebeutet werden kann (im Gegensatz zum Beispiel zu Arbeiter_innen), wobei ich Mediakraft natürlich keinerlei primäre kreative oder gar karitative Ziele unterstellen würde, sondern selbstredend immer das Gegenteil: Gewinnmaximierung.
Ginge es nämlich tatsächlich um Kapitalismus und Ausbeutung und wirkliche gesellschaftliche Solidarisierungstendenzen, dann könnten sich all die geballten Kräfte im Netz auch mal gegen Hartz-IV vereinen. Oder Rassismus. Oder die Unfreiheit von Geflüchteten in Deutschland (um nochmal den Hashtag aufzugreifen). Und zwar nicht als Ersatz für #Freiheit, sondern durchaus nach dem Prinzip: Sowohl als auch. Aber das – Überraschung – passiert nicht, und es wird wahrscheinlich auch nicht passieren. (Vielleicht auch deswegen weil die genannten Themen zumeist eh vom berühmt-berüchtigten Bürgertum abgegrast werden.)
Für durchaus subversiv halte ich viele der YouTuber_innen-Projekte, für eine Nische für auch mehr Sichtbarkeit im Land der Illusion der Chancengleichheit, für einen virtuellen Ort (wenn auch: wie immer begrenzter) Teilhabe. Doch, ja: Es macht mich wirklich ratlos, dass es ausgerechnet ein Label-Problem ist, dass die Netz-Konsument_innen aus dem Tiefschlaf reißt und einen Aufschrei produziert. Aber wahrscheinlich liegt es halt auch nicht allein am Thema, sondern auch an der Anzahl der Rezipient_innen, die diese kleine vorweihnachtliche Lawine überhaupt erst lostreten konnten.
So wahr! Danke! Ich habe mich auch über diesen Hipe gewundert. Okay, schlechte Arbeitsbedingungen bei Mediakraft – so what? Hab ich bei meinen letzten 3 Arbeitgeber*innen auch gehabt. Und natürlich fühlt es sich nach Freiheit an, wenn frau kündigt und endlich da weg ist, aber dann würde ich doch eher die Arbeitsgesetze im Land insgesamt kritisieren und auch mal alles in Proportion sehen. Denn wenn ich immer noch die Freiheit habe, zu gehen und dabei zu wissen, dass ich bestimmt etwas Neues finde, geht es mir doch im Vergleich zu anderen Mitgliedern dieser Gesellschaft immer noch gut. Aber für „die“ macht ja niemand einen Twitter-Aufschrei.
Ich kann verstehen, dass er sich über deinen Ärger auf seinem Wege Luft macht, aber den Begriff „Freiheit“ würde ich dafür nicht als # claimen. Ist ja bestimmt nett für diesen „Unge“, dass so viele Leute sich mit ihm Solidarisieren, aber ich fände es besser, wenn er die Bescheidenheit besäße, die hochkochenden Emotionen seiner Fans ein wenig ins gerade Licht zu rücken, vor allem angesichts der Pegida-Katastrophe, die hier gerade abgeht.