„Der „Hurensohn“ ist eine Frau“

Was für eine Woche! Das Phänomen „Trailerpark“ enterte erstmalig Teile der aktivistischen Blogosphäre, Basti Trailerpark „diskutierte“ mit Feministinnen, und es blieb kein Auge trocken. Hand auf`s Herz, sollte man sich dazu die passende Metapher aussuchen, dann käme wahrscheinlich nur eine in Frage: Wie ein Splatter das Ganze, in dem gegen Massen von Zombies gekämpft wird – und dann landet auch noch auf einmal ein Raumschiff, und Aliens entern die Szenerie, und keiner weiß so wirklich warum.

Es wurde gestritten um eine „Provokation“, die keine mehr ist, weil sie keine sein kann – nicht in Zeiten, in denen die Mainstream-Medien für die „gebildeten Menschen“ Jörg Kachelmann zum Widerstandskämpfer der Entrechteten hochstilisieren und Buschkowsky für jemand gehalten wird, der sich „auch wenn es vielleicht problematisch ist endlich mal traut zu sagen was Sache ist“.

Das heißt, die „Provokation“, so sehr sie auch von den entsprechenden Künstlern als solche vorher vielleicht angekündigt gewesen sein mag, ist im Prinzip nur noch „der Sachverhalt“, und um sich am Ende doch noch Erleichterung durch irgendeine Art von Schnappatmung zu verschaffen, wird der Nebenkriegsschauplatz auf einen WordPress-Kleinblog, sukzessive auf die Facebook-Fan-Page eines den Vorfällen kritisch gegenüber eingestellten Musikers verlegt.

Dies deswegen, da es nun wiederum „provoziert“, dass Menschen sich – wenn auch nur vereinzelt – von dieser Art der Darbietung provoziert fühlen, was nicht sein darf. Denn das ist schließlich Kunst die „provoziert“, und die muss richtig übertrieben sein, sonst wäre es ja keine Avantgarde mehr, also bitte, doch nicht so krass aufregen, beziehungsweise, wenn man es nicht verstanden hat, einfach mal die Klappe halten. Dann ist da noch „Dankbarkeit“, dafür, dass nun „Werbung“ gemacht wurde, indem das „skandalöse Moment“ der Kunst sichtbar gemacht wurde.

Oder, wie jemand mir schrieb: „Dass du dich darüber aufregst zeigt doch nur, dass sie alles richtig gemacht haben.“ Da kratze ich mich doch am Kopf und frage, was meine Reichweite mit – ursprünglich – 300 Facebook-Peoples da an Effekten generieren konnte. Zudem, und das bei aller Liebe, bezweifel ich, dass es irgendwie die Intention der Künstler gewesen sein wird, die Nerven irgendwelcher Kleinbloggerinnen zu überspannen, die dann vom Dorfe aus ihren WordPress-Account befüllen.

Die Diskussion, die sich hier abgespielt hat, zeigt mir am Ende nur: Bezüglich der Themen „Anschlussfähigkeit“ und „Inklusion“ haben wir Filter-Blogger_innen tatsächlich noch einen weiten Weg vor uns. Platt gesagt: Mein Blog ist als Medium, das sich vorwiegend den Ideen der Counter-Culture verschreibt, nicht anschlussfähig für Mainstreamdebatten – oder für solche, die (auch) mainstreamig diskutiert werden soll(t)en. So sehr ich die Phrase „Clash of Civilizations“ auch für falsch befinde, so sehr ist dieser Term wohl das einzige, was zum Beispiel einen Kommentarthread wie diesen hier am besten beschreibt.

Die Rezipient_innen von Trailerpark und meine Leser_innen – da gibt es, da bin ich ganz realistisch, kaum Überschneidungen. Das liegt zum einen natürlich an der Größe des Zielpublikums. Es hat aber auch nichts mit Klassismus zu tun, selbstverständlich nicht, sondern einfach mit: Paradigmen. Zudem: Mit Codes, mit wechselseitiger Klassifizierung aufgrund von Wissensproduktionen, mit Sanktionierungen und Disziplinierung für „richtiges“ oder „falsches“ Denken. (Und Edit: Einige der kommentierenden Fans haben sehr deutlich gemacht, wie sehr ihnen die Ambivalenz des Ganzen klar ist, und dass sie sich der Widersprüchlichkeiten des Sachverhaltes, dass man bestimmte Dinge konsumiert, obschon man andere Thesen vertritt, bewusst sind.)

Einer meiner klitzekleinen Brüche mit dem Paradigma, auch wenn mir das nicht bewusst gewesen ist, war wahrscheinlich schon überhaupt das Aufgreifen einer Erscheinung wie Trailerpark – vor allem in einer Woche, in der eigentlich die Verabschiedung des Betreuungsgelds ein noch wichtigeres Thema sein könnte oder sollte als ein ominöser Party-Exzess von so vielen.

Dennoch stellen sich mir weiterhin die universalen Fragen, sofern es um die Hip-Hop-Rezeption geht: Ich bleibe dabei, dass bei rassifizierten Künstler_innen derartige „Performances“ mit hochprozentiger Sicherheit als irgendeine Art von Ausuferung „defizitärer Herkunftskulturen“ gedeutet werden würden, wohingegen im Falle Trailerparks das Ganze als „Partymodus“ – beziehungsweise, der Trailerpark-Anführer formulierte es selbst: „Lifestyle“ – abgehakt wird.

Das heißt, nicht nur die Deprivationsthese („Musik für Hartz4-Empfänger“™) muss hier mal genauer durchleuchtet werden, sondern auch das rassistische, das intersektionale Moment der Konsumbewertung – wenn es um die Rezeption von Popkultur-Phänomenen geht. Wanna say: Ich gehe davon aus, dass zum Beispiel die Vice das Treiben ganz anders bewertet hätte, wenn jemand wie Massiv eine derartige Release-Show inszeniert hätte.

Das Unbehagen bleibt wohl auf allen Seiten. Natürlich sind Trailerpark ganz normale Produkte der Zeit und der Strukturen, natürlich wäre es naiv angesichts der reproduzierten Sexismen (und Rape-Culture, und Drogen- und Gewaltverherrlichung, und, und…) zu sagen: „Eeeecht? Sowas gibt es? Heftig!“ Und auf der Gegenseite die Fans und Künstler, die sich fragen, „warum da jetzt denn schon wieder diese Welle gemacht wird“. Was auch immer es gibt: Es ist da, weil die Gesellschaft so strukturiert ist. Punkt.

Und am Ende bin auch ich nur ein Produkt dieser Zeit und dieser Strukturen, und das heißt auch, der Leib-und-Magen-Trailerparkler wird sich nicht wirklich über mich wundern müssen. Mein Habitus wird mir aufgrund aller meiner Prägungen immer wieder vorgeben, Dinge in Frage zu stellen, Sachen zu kritisieren, für die Gegenkulturen zu sympathisieren – auch, wenn ich nicht immer alle auf dem Schirm habe. Und zwar nicht, weil ich es mir individuell so ausgesucht hätte, sondern weil auch ich da ein Produkt der Fänge der Machtstrukturen bin. Ich glaube deswegen auch nicht, dass das etwas ist, was ich einfach als „Lifestyle“ abcanceln würde. Und, trotzdem.

„My generation´s apathy. I`m disgusted with it. I´m disgusted with my own apathy too, for beings spineless and not always standing up against racism, sexism and all those other -isms the counterculture has been whining about for years.“ (Kurt Cobain)

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7 Gedanken zu „„Der „Hurensohn“ ist eine Frau“

  1. Katinka Karacho sagt:

    fuckin‘ a. well said, nadia. i salute you for your energy and, yes, courage!

  2. Timo Luks sagt:

    danke für diesen nachdenklichen text – und für den text zu TP. Die lektüre dieser kommentarflut hat mich wirklich sprachlos gemacht. Da kann offensichtlich auch nicht eine minimale spur nachvollzogen werden, warum man/Du sich über die TP-Aktion aufregen kann. Ich fand das wirklich befremdlich – und „clash of civilizations“, oder, um es weniger dramatisch und mit thomas kuhn zu sagen: paradigmen sind inkommensurabel. Aber trotzdem, irgendwie erschüttert mich das dann doch.

  3. asihoch10 sagt:

    trailerpark als ‚hiphop‘ zu bezeichnen, halt ich für eine gewagte these.

    PS: dein letzter absatz gefällt mir. wir kommen uns doch näher!

  4. cachedmemories sagt:

    „Ich bleibe dabei, dass bei rassifizierten Künstler_innen derartige “Performances” mit hochprozentiger Sicherheit als irgendeine Art von Ausuferung “defizitärer Herkunftskulturen” gedeutet werden würden, wohingegen im Falle Trailerparks das Ganze als “Partymodus” – beziehungsweise, der Trailerpark-Anführer formulierte es selbst: “Lifestyle” – abgehakt wird.“

    Du hingegen wertest stattdessen Trailerpark als irgendeine Art von Ausuferung einer anderen „defizitären“ Herkunftskultur (nämlich deiner eigenen, der deutschen). Mal drüber nachgedacht was das impliziert?

  5. NOISEAUX sagt:

    Danke dafür, dass Du das aufgreifst und einbettest und eben nicht ignorierst, wie es diesen komischen Typen oder zumindest ihren ungefragten Fürsprechern sicherlich lieber wäre. Was wollen die eigentlich? Nach unten treten, ohne dass Getretene und Leute mit Interesse an post-17.Jhd.-Sozialverhalten das bemerken? Deine wichtige Stimme, Gegenstimme, macht die Gesellschaft, in der uns sowas vorgeführt und zugemutet wird, zu einem weniger grausamen Ort. Mir tut das ganz unmittelbar gut, was Du schreibst.

  6. […] Später gab es einen kleinen Knall, als Trailerpark über den Artikel stolperte, in dem ich über ihr Release-Konzert abkotze – und sie diesen auf ihrer knapp 30.000 Fans umfassenden Facebook-Seite posteten. Erst Tage später beruhigte sich mein WordPress-Backend wieder einigermaßen, und die Headline zum Resümee lieferte am Ende unintendiert ein Trailerpark-Fan: “Der Hurensohn ist eine Frau“. […]

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